Unter der Internetseite http://geldmitsystem.org/ haben sich 2011 einige Persönlichkeiten zur Formulierung einer gemeinsamen Kritik am bestehenden Geld- und Zinssystem zusammengefunden und ihre Thesen formuliert. Diese möchte ich im Folgenden vorstellen und diskutieren.
“Die 10 Kernaussagen der unabhängigen Geldsystem-Kritiker
Eine immer größer werdende Gruppe unabhängiger Geldsystem-Kritiker kommt in ihren Analysen zu dem Schluss, dass die heutige Finanzkrise nicht auf Misswirtschaft, sondern auf einen Fehler im System selbst zurückzuführen ist.
Sie haben sich auf 10 gemeinsame Kernaussagen geeinigt, um politische Entscheidungsträger dazu aufzufordern, die Krise als Chance für Strukturreformen zu erkennen. Durch Kürzungsmaßnahmen sind die Systemfehler nicht zu korrigieren. Es fehlt der Diskurs mit unabhängigen Experten, die nicht vom gegenwärtigen System profitieren. Die Mitglieder dieser Initiative unterscheiden sich bezüglich der geforderten strukturellen Veränderungen des Systems, vor allem in Hinsicht auf deren Ausmaß. Breite Einigkeit herrscht jedoch in der Analyse der Ursachen der heutigen Situation.
Die 10 Kernaussagen:
1) Die meisten Nationen dieser Welt stehen vor dem Problem einer anwachsenden Vermögenskluft und steigender Schuldenberge.
2) Diese Phänomene haben ihren Ursprung weniger in wirtschaftlichem Fehlverhalten oder verschwenderischer Politik, sondern resultieren vor allem aus dem nicht nachhaltigen Aufbau unseres Geld- und Finanzsystems.
3) Geld wird heute über Kreditvergabe in das System eingebracht. Um Geld in Umlauf zu halten, müssen die dabei entstehenden Schulden von den Banken durch stetige neue Kreditvergabe aufrecht erhalten werden. Das Zinseszinsphänomen führt dabei zu einer sich beschleunigenden Zunahme der Schuldlasten, die sich auf andere Finanzprodukte überträgt.
4) Wir nehmen an, dass die Struktur des Geld- und Finanzsystems zur exponentiellen Zunahme der Staatsschulden führt, wie sie in allen westlichen Nationen zu beobachten ist (mit Ausnahme der Steueroasen und unter Berücksichtigung von Schwankungen durch kriegsbedingte massive Geldschöpfung). Wäre Misswirtschaft die Ursache, so müsste ein Auf und Ab, je nach Kompetenz der Regierungen zu beobachten sein, und die Schwankungen dürften bestenfalls in der Höhe des Wirtschaftswachstums zunehmen und es nicht weit übersteigen. Überdies ist zu klären warum Schulden von Unternehmen und Privatleuten mit der gleichen Dynamik anwachsen, während das im Finanzsektor befindliche Vermögen steigt.
5) Ein nachhaltig funktionierendes Wirtschaftssystem ist daher nur auf der Basis von grundlegenden Veränderungen im Finanz- und Geldsystem vorstellbar.
6) Die Politik schafft die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Deshalb rufen wir unsere politischen Entscheidungsträger auf, die wissenschaftliche Erforschung des Geldsystems zu fördern um den Handlungsbedarf zu erkennen.
7) Der Entwicklung von Computermodellen zur Grundstruktur des Geld- und Finanzwesens sollte ein annähernd hoher Forschungsetat zufließen, wie der Entwicklung von Klimamodellen, da das Wohl der Bürger in ebenso hohem Maß von diesem von Menschenhand geschaffenen System abhängig ist.
8) Die Erforschung alternativer Modelle ist eine sozialpolitische Notwendigkeit, so lange die Vermutung nicht entkräftet werden kann, dass die Ursache der weltweit steigenden Vermögenskluft im Finanzsystem zu suchen ist.
9) Das Geld muss im Ursprung dem Volk gehören. Wenn ein System Gebühren auf das in Umlauf befindliche Geld einfordert, so dürfen die Erträge daraus nur für das Gemeinwohl verwendet werden.
10) Die breite Masse der Menschen geht heute von völlig falschen Annahmen darüber aus, wie Banken agieren und wie Geld entsteht. Das Thema darf im Bildungssektor nicht mehr weiter ausgeklammert werden. Ansonsten sind alle zukünftigen politischen Maßnahmen aufgrund des Unverständnisses von Seiten der Wähler zum Scheitern verurteilt.”
Zu 1:
Dem kann man nur zustimmen und ist auch das Anliegen der Meudalismus-Kritik. Vielleicht hätte ich etwas anders formuliert.
Zu 2:
Der 1. Halbsatz ist zutreffend, der 2. nicht. Die Gründe pro und contra folgen in den nächsten Punkten.
Zu 3 Satz 1:
Das Geld wird nicht ausschließlich, aber zum ganz überwiegenden Teil über die Kreditvergabe der Kreditinstitute “geschöpft” (Einzelheiten: Deutsche Bundesbank,
http://meudalismus.dr-wo.de/geld2_gesamt_2010.pdf S. 67 ff. Die aktuelle Buchfassung: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Buch_Broschuere_Flyer/schule_und_bildun g_geld_und_geldpolitik_schuelerbuch.pdf?__blob=publicationFile ). Dabei sollte man aber auch dazusagen, dass diese “Geld” kein Geld im Rechtssinne ist, sondern von vornherein nur ein rechtlicher “Anspruch” gegen das Kreditinstitut; es wird daher auch nur Bankgeld, Buchgeld oder Giralgeld genannt. Sich rechtsverbindlich einem anderen gegenüber zu etwas verpflichten und damit einen “Anspruch” begründen, ist jedermanns Alltag und nichts abnormales.
Ein kleiner Teil neuen, zusätzlichen “Geldes” kommt in Deutschland als Münzgeld (neben Banknoten echtes, gesetzliches Geld) über den Bundesfinanzminister ohne jegliche Verschuldung in Umlauf (vgl. nur Deutsche Bundesbank aaO S. 239 und
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/ Publikationen/Fachveroeffentlichungen/FinanzenSteuern/OeffentlicheHaushalte/ AusgabenEinnahmen/KassenergebnisOeffentlicherHaushalt2140200113214,property=file.pdf bei “Münzeinnahmen”).
Auch das Kopfgeld 1948 von 60 DM pro Kopf ist “schuldenfrei” in die deutsche Volkswirtschaft gelangt.
Zu 3 Satz 2:
Hier wird knapp die falsche These vom Wachstumszwang formuliert, Ich verweise dazu auf [Irrwege/Geldwesenkritik/Wachstumszwang] “Der Zins, die Geldschöpfung und der angebliche Wachstumszwang”.
Zu 3 Satz 3:
Zu wachsender Verschuldung führt nicht die Verzinsung, sondern die Verschuldung. Die Ursachen dafür liegen in zu geringen Einkünften (ausführlich: [Fakten/Bankenkrise] “Die amerikanische Bankenkrise und die weltweite Finanzkrise” unter 3 f.). Der Zins ist ein Preis für ein Wirtschaftsgut wie jeder andere Preis auch. Niemand kommt - zu Recht - aber auf die Idee zu behaupten, der Preis für Brot führe zu wachsender Verschuldung. Nichts anderes gilt für den Zinseszins. Dieser entsteht immer nur dann, wenn man einen fälligen Zins nicht bezahlt, diesen zur Schuld hinzuzählt und dafür wiederum Zinsen verspricht (vgl. http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__248.html).
Zu 4:
Wie vor. Wachsende Verschuldung der breiten Bevölkerung und öffentlichen Haushalten einerseits und wachsender Reichtum bei einigen Wenigen kann man schon bei einem einfachen Monopoly-Spiel beobachten, wo lediglich Spielgeldscheine verwendet werden. Am Geld- oder gar Zinssystem liegt es jedenfalls nicht.
Zu 5:
Diese Schlussfolgerung ist verfehlt, weil schon die Analyse (oben 2-4) in entscheidenden Punkten falsch ist.
Zu 6:
Es wäre besser, die Geldsystemkritiker würden ihren Irrtum erkennen und an den wirklichen Problemen mitarbeiten.
Zu 7 und 8:
Na klar! Zum Geldverteilen ist der Staat immer gut.
Zu 9:
Die sogenannte “Umlaufgebühr”. Sie wird dort nicht erläutert, weshalb ich auch nichts weiter darauf antworte, außer, dass sie unsinnig ist. Da Politiker die Steuereinnahmen ausgeben, können sie gerne auch diese Einnahmen ausgeben. Alles dient ja angeblich immer dem Gemeinwohl.
Zu 10:
Das ist in dieser Allgemeinheit sicher richtig. Bildungsinhalte allerdings mit der Geldsystemkritik zu füllen, wäre aber fatal. Eher bietet sich dafür die Meudalismus-Kritik an.
Sorry, aber “die 10 Kernaussagen der Experten” sind kalter Kaffee.
Den Anhängern der Geldsystemkritiker sei einer der Rundgänge hier empfohlen “Zurück zum Start!”: http://meudalismus.dr-wo.de/index.htm#rundgaenge
Leser seit 18.10.2011:
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“Die richtigen Fragen”
Die Anstalt vom 05.04.2016 fast nur der Kritik am modernen Feudalismus gewidmet: